„Ohne Emotion nützt die beste Konstruktion nichts“ Komponist Enjott Schneider über sein Werk für die Bayreuther Stadtkirche

Von Florian Zinnecker
Spezialist für atmosphärische Musik: Enjott Schneiders "Sancta Trinitas" wird in der Stadtkirche uraufgeführt. Foto: dpa Foto: red

Bayreuth feiert den 400. Geburtstag der Stadtkirche. Und Enjott Schneider gratuliert mit seinem oratorischen Triptychon „Sancta Trinitas“. Am heutigen Donnerstag feiert der erste Teil des Werkes Uraufführungspremiere. Mit dem Komponisten sprach der Kurier über geheimnisvolle Welten, das Arbeiten am Computer und Inkubationszeiten von guten Ideen.

 
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Herr Schneider, wenn Sie ein Oratorium schreiben – ist Ihnen dann eine möglichst ausgeklügelte Form wichtiger, oder die Wirkung der Musik auf die Zuhörer?

Enjott Schneider: Immer beides. Schauen Sie auf Mozart, schauen Sie auf Bartok – Ausdruck und Konstruktion müssen sich immer die Waage halten; ohne Emotion nützt die beste Konstruktion nichts. Ich könnte jetzt viel über die konstruktive Seite des Werks reden, da ist sogar eine Zwölftonreihe drin. Aber die hört kein Mensch.

Warum?

Schneider: Ich bin mit allen Wassern der Neuen Musik und deren Kunstanspruchs gewaschen. Ich bin weltweit in Konzertsälen präsent und als Präsident des Deutschen Komponistenverbands, der alle Kollegen kennt - schon ziemlich im Fokus: da wird schon ernsthaft nach Kunst gefragt. Das Tryptichon genügt diesen Ansprüchen. Es ist sehr konstruktiv aber auch emotional direkt verständlich.

Warum ist das Werk ein oratorisches Tryptichon – und was ist das eigentlich?

Schneider: Das war ein Kompositionsauftrag zum 400. Jubiläum der Stadtkirche. Die Auftraggeber hatten die Idee zu einem Bayreuther Credo; die Kirche heißt „Heilige Dreifaltigkeit“, Vater, Sohn, Heiliger Geist, also haben wir beschlossen, das Werk zu gliedern. Im ersten Teil, der heute Abend uraufgeführt wird, geht es um den Vater. Am Karfreitag kommt der zweite Teil, da geht es um den Sohn. Und der dritte Teil, zum Heiligen Geist, wird zu Pfingsten uraufgeführt. Jeder Teil dauert etwa 20, 25 Minuten, jeder hat eine eigene Einleitung und einen großen Schluss, man kann alle Teile einzeln aufführen. Aber eben auch zyklisch, als Dreieraltar.

Ist es schwerer zu komponieren, wenn das Ergebnis von vornherein feststeht?

Schneider: Ich bin ja gewohnt, im Auftrag zu arbeiten, es ist schon fast mein zehntes Oratorium. Früher habe ich auch Opern geschrieben, aber mir geht es da wie Georg Friedrich Händel: Der hat damit auch aufgehört, aus Schwierigkeiten mit dem Opernbetrieb, und hat lieber Geschichten als Oratorium erzählt. Sein „Judas Maccabäus“ hätte durchaus auch eine Oper sein können. Die Vorgehensweise ist ähnlich: Man muss sich erst um den Stoff bemühen, eine Geschichte mit guter Dramaturgie erfinden, bei der eine Frage, ein Konflikt im Raum steht. Man muss Höhepunkte schaffen, dann wieder reduzieren, und man braucht sehr bildhafte, plastische Stationen. Das ist keine Musik, die einfach nur ziellos tönt. Jedes Stück hat einen klaren Ansatz.Der Prolog des ersten Teils ist ein Mysterioso, als Einstieg in eine geheimnisvolle Welt – die Trinität an sich ist für Menschen ja schwer vorstellbar. Als Erkennungsmerkmal habe ich ein rhythmisches Motiv geschrieben, das die Zuhörer reinzieht: ein Schlag, zwei Schläge, drei Schläge, ganz ähnlich wie bei Beethovens Fünfter. Das zieht sich durch alle Teile. Im zweiten Teil gibt es dann ganz mitreißende Streicherfiguren. Jeder Satz hat ein plastisches Bild, die Zuhörer können immer in einer Stimmung versinken.

Wo arbeiten Sie – am Klavier, am Schreibtisch oder am Computer?

Schneider: So wenig wie möglich am Computer, das ist ein Todesinstrument. Am Anfang brauche ich eine kleine Phase am Klavier. Das schöne am Klavier ist ja, ich drücke eine Taste und höre dann den Ton wegschwingen. Der Raum am Klavier ist für mich viel größer als etwa an der Orgel. An der Orgel kann ich gar nicht gut komponieren, da macht der Ton nur „Pääääp“ und ist sofort wieder weg. Ein Klavier ist ein wunderschönes Instrument zum Versinken. Robert Schumann hat auch immer am Klavier komponiert, am liebsten im Halbdunkel, bei gedrücktem Pedal, so dass die Melodien und Motive durcheinander schmieren. Das kann ich gut nachvollziehen; ein Klavier inspiriert sehr. Ich suche ein Thema, markante Melodien, eine Tonreihe, ich improvisiere über den Choral und mache ihn mir zu eigen. Der Rest findet dann am Schreibtisch statt.

Die grundlegende Dramaturgie haben Sie aber schon im Kopf, bevor Sie sich ans Klavier setzen?

Schneider: Bei kreativen Prozessen ist es wie mit Krankheiten – man braucht eine Inkubationszeit. Eine Idee kann man nicht auf Knopfdruck bekommen. Die muss von selbst rauspurzeln. Alle großen Ideen sind nicht am Schreibtisch entstanden, weder die Radioaktivitäts- noch die Relativitätstheorie. Man grübelt nach, und irgendwann fällt’s einem ein. Wenn man ein Projekt vorhat, egal ob eine Komposition oder ein Aufsatz, dann macht man im Kopf einen Projektordner auf und geht dann erst einmal weiter durch die Welt, durch den Alltag, ein halbes Jahr lang. Man hört Melodien und bekommt Ideen, sitzt im Konzert und denkt, ach, das ist ein schönes Finale, das könnte etwas sein. Und das Unterbewusstsein, auf das man mit der Zeit immer stärker vertraut, speichert alles am richtigen Ort ab. Man muss im Unterbewusstsein schwanger gehen mit einer Idee – das ist ein Ausdruck, der mir da sehr gut gefällt. Man sammelt und sammelt im Unterbewusstsein. Und wenn man sich dann an die Arbeit macht, purzelt alles an der richtigen Stelle heraus.

Und dann ist es eine Arbeit von Tagen? Oder doch von Wochen und Monaten?

Schneider: Von wenigen Tagen. Ich war gerade am Samstag in Bayreuth und habe das zweite Oratorium dort abgegeben, für Karfreitag, das habe ich effektiv an sieben Tagen geschrieben. Ich habe aber ein halbes Jahr lang nachgedacht. Das Schöne ist, man kann ja auch an zehn Projekten gleichzeitig arbeiten. Zwanzig Minuten Musik zu schreiben ist ja auch kein Ding.

Das sagen Sie so leicht.

Schneider: Wenn ich an meine großen Scores denke, von „Stalingrad“ bis „Flucht“ – da wird man oft gezwungen, innerhalb von zehn oder zwölf Tagen eineinhalb Stunden Musik zu schreiben, und zwar auch für großes Orchester. Das ist die harte Schule. Über zwanzig Minuten lächelt man da nur müde.

⋌Das Gespräch führte Florian Zinnecker

INFO: Am Donnerstag, 29. Januar, feiert Enjott Schneiders „Sancta Trinitas I – Wir glauben all an einen Gott“ um 20 Uhr Uraufführungspremiere. Außerdem steht Giacomo Puccinis „Messa di Gloria“ auf dem Programm. Zu hören sind die Hofer Symphoniker und der Konzertchor der Hochschule für evangelische Kirchenmusik, die Leitung hat Georg Hage. Solisten sind Inga Lisa Lehr (Sopran), Michael Pflumm (Tenor), Simon Schnorr (Bass). Karten bei der Theaterkasse und im Kircheneck, sowie an der Abendkasse. Teil II folgt am 17. April, Teil III am 3. Mai.