Streit um Schweinfurter Juwelen der Druck-Kunst und ein Prinzip: Wem gehört Kultur wirklich? Kulturschatz verramscht

Von Mathias Wiedemann
Die Gutenberg-Bibel (ca.1455) ist das vermutlich älteste gedruckte Buch und nur noch in wenigen Exemplaren überliefert. Ein Fragment einer dieser Bibeln hat nun Otto G. Schäfer einem Händler in der Schweiz verkauft. Foto: dpa Foto: red

Er soll nationales Kulturgut verramscht haben: Gegen Otto G. Schäfer, Sohn des Schweinfurter Sammlers Otto Schäfer, wird harsche Kritik laut. Hat er das Recht, einzigartige Bücher aus der Sammlung seines Vaters zu verkaufen?

 
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Erhoben hat die Vorwürfe der Geschäftsführer des Archivs der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. „Man darf durchaus von einem ,Ausverkauf’ der Sammlung Otto Schäfer rechnen“, schreibt Klaus Graf in dem Blog „Planet Clio“. Die Überschrift ist sogar noch ein bisschen deutlicher: „Spitzenstücke aus der Schweinfurter Bibliothek Otto Schäfer verscherbelt“. Mittlerweile ist der Verkauf gestoppt, das Bayerische Kultusministerium hat sich der Sache angenommen.

Otto G. Schäfer hat offenbar ein größeres Konvolut an wertvollen Büchern an einen Händler in der Schweiz verkauft, darunter ein umfangreiches Fragment der berühmten Gutenberg-Bibel. Von diesem Buch, einem der ersten gedruckten Bücher überhaupt, waren Mitte des 15. Jahrhunderts 180 Stücke gedruckt worden. Heute sind noch 49 Exemplare bekannt. Zuletzt war Ende der 80er Jahre ein Verkauf einer Gutenberg-Bibel bekannt geworden – für 9,75 Millionen Mark, heute rund 5 Millionen Euro, hatte damals ein Exemplar den Besitzer gewechselt.

Das Millionenbuch

Die Bücher aus dem 15. und 16. Jahrhundert gehören zu der wertvollen Bibliothek Otto Schäfers (1912 bis 2000). In seinem Privathaus auf einem Hügel etwas abseits der Altstadt ist der Schatz heute der Öffentlichkeit zugänglich. Bekannter zwar ist die Sammlung von Ottos Halbbruder Georg Schäfer (1896 bis 1975), eine bedeutende Sammlung von Gemälden des 19. Jahrhunderts, die in einem der spektakulärsten Museen Bayerns präsentiert wird. Die Bibliothek ist jedoch nicht minder bedeutend: Sie umfasst illustrierte Bücher vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, wertvolle Einbände, bedeutende Werke der deutschen Literatur – darunter viele Unikate – sowie Grafik von Künstlern wie Olaf Gulbransson, Alfred Hrdlicka, Horst Janssen und Pablo Picasso.

Was den rechtlichen Status der Sammlungen betrifft, gibt es einen wesentlichen Unterschied. Die Erben Georg Schäfers haben die Sammlung in eine echte Stiftung überführt. Das bedeutet: Es dürfen nicht einfach Bilder verkauft werden, da das Stiftungsvermögen nicht geschmälert werden darf. Dieses Verbot ist auch eines der Argumente der Stiftung gegen die Rückgabe von Raubkunst.

Eigentümer des größten Teils der Sammlung Otto Schäfer ist dagegen der eingetragene Verein „Dr. Otto Schäfer Stiftung“ – eine Form, die es dem Vorstand leichter macht, in den Bestand einzugreifen.

Skandalöser Vorgang

Was Beobachter vehement bedauern. Klaus Graf nennt das Vorgehen Otto G. Schäfers gar „skandalös“: „Die Schweinfurter Bibliothek geriert sich als ehrenwerte und seriöse Institution, getragen von einem als ,Stiftung’ bezeichneten eingetragenen Verein, der aber vermutlich nur das abnickt, was der Vereinsvorsitzende Otto G. Schäfer will.“ Der Verkauf sei ein Aderlass, der den Kernbestand der Sammlung betreffe, so Graf. „Eigentum verpflichtet – da hätte man anders damit umgehen müssen.“

Erreicht haben die Bücher ihren designierten neuen Eigentümer in der Schweiz noch nicht. Grund: Das Hamburger Staatsarchiv hat die Ausfuhr aus der EU mit einer vorläufigen Eintragung angehalten. Mittlerweile liegt die Sache bei Bayern, dem Graf allerdings wenig Eifer zutraut. Bayern sei nicht für seinen Mut gegenüber dem Kunsthandel bekannt und vernachlässige bewegliche Kulturgüter „dreist“. Auch die Bayerische Staatsbibliothek habe kein Interesse am Schutz von Kultur, behauptet Graf.

Einzigartiges Konvolut

Was den Wert des verkauften Konvoluts betrifft, geben Experten Klaus Graf recht. Der Verlust der Spitzenstücke, entstanden zwischen 1407 und 1605, würde den Wert der Schweinfurter Sammlung erheblich mindern. So stuft Falk Eisermann, Referatsleiter der Berliner Staatsbibliothek, den größten Teil der Inkunabeln als „besonders bedeutsam“ an. Vielen der Stücke sei „ein herausragender wissenschaftlich-kultureller Rang zuzumessen“. Dies gelte aufgrund des Alters etwa für die Gutenberg-Bibel von 1457, auch wenn sie nur in Fragmenten vorhanden sei. Manche Werke seien extrem selten, ja, in dieser Form kein zweites Mal bekannt.

Die Fachleute interessieren sich vor allem für die rund 70 verkauften Inkunabeln oder Wiegendrucke. Darunter versteht man Drucke aus der Frühzeit dieser Technik, also Arbeiten, die noch im 15. Jahrhundert entstanden. Diese Bücher gelten als Kernstück der Sammlung, als „einzigartiges Ensemble“, dessen „geschlossene Bewahrung und Erhaltung in Deutschland aus meiner Sicht dringend erforderlich ist“, so Staatsbibliothekschef Eisermann. Er ist zuständig für den Gesamtkatalog, in dem sämtliche Drucke des 15. Jahrhunderts verzeichnet sind. Die Sammlung Otto Schäfer ist dort – noch – mit 234 Exemplaren vertreten.

Weder Otto G. Schäfer noch der Händler wollen die Vorgänge derzeit kommentieren, sie verweisen auf mögliche juristische Komplikationen. Nach Auskunft der Bayerischen Staatsbibliothek ist das Konvolut inzwischen aus Hamburg zurück in Schweinfurt. „Damit sind wieder wir zuständig“, sagt Ludwig Unger, Pressesprecher des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst.

Das Ministerium lasse derzeit durch Experten prüfen, ob die Bücher aus Schweinfurt auch in die bayerische Kulturgut-Schutzliste aufgenommen werden. Unger rechnet mit einer Entscheidung noch im Februar.