Bochinger warnt davor, Nazi-Begriffe wieder salonfähig zu machen Religionswissenschaftler Bochinger: "Pegida ist sehr gefährlich"

Von Elmar Schatz
Wer Begriffe von Goebbels verwendet, ist ein geistiger Brandstifter, sagt Professor Bochinger. Foto: Archiv/von Pölnitz Foto: red

"Pegida ist eine sehr gefährliche Sache", sagt der Bayreuther Religionswissenschaftler Christoph Bochinger. Der Kurier hat mit ihm über die Angst vor Islamisierung gesprochen und warum bei den jetzigen Ereignissen der Begriff "Kulturkampf" falsch ist. Mit dem Bayreuther Islam-Wissenschaftler Hans-Thomas Tillschneider, der im sächsischen AfD-Vorstand ist und ein paar Mal bei Pegida mitgegangen ist, will Bochinger demnächst ein Gespräch führen; pauschal verurteilen will er ihn aber nicht.

 
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Herr Professor Bochinger: Haben wir einen geistigen Brandstifter an der Uni Bayreuth? Der Islam-Wissenschaftler Hans-Thomas Tillschneider geht zu Pegida-Demos und gehört dem sächsischen AfD-Landesvorstand an.

Professor Bochinger: Ich will Herrn Tillschneider nicht pauschal verurteilen. Er sagte, er sei ein paar Mal bei Pegida mitgegangen; er ist bei der AfD aktiv. Diese Organisationen sind nicht verboten. Insofern hat er natürlich das Recht, seine Meinung zu äußern wie jeder andere auch. Aber Pegida ist eine sehr gefährliche Sache, weil da Dinge durcheinander geraten, die man nur schwer wieder auseinanderbekommt. AfD ist noch einmal etwas anderes. Bei dieser Partei ist bisher nicht genau erkennbar, wofür und wogegen sie eigentlich ist. Das Wort „Alternative“ im Parteinamen „Alternative für Deutschland“ sagt nicht: Alternative zu was? Mal geht es um den Euro, dann um den Islam, und dann wieder um die Flüchtlinge oder die Geburtenrate. Es bleibt unklar, für was diese Partei letztlich kämpft.

Distanziert sich die Religionswissenschaft der Uni Bayreuth von Tillschneider?

Bochinger: Ich habe mit Herrn Tillschneider Kontakt aufgenommen. Wir haben demnächst ein Gespräch in kleiner Runde, bei der noch ein paar Kollegen dabei sind. Er hat mir zuletzt gesagt, er habe sich von Pegida zurückgezogen. Ich wüsste gerne genau von ihm, wo er eigentlich steht. Ich will mich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht pauschal von ihm distanzieren. So sehen das auch meine Kolleginnen und Kollegen.

Herr Tillschneider hat gesagt, mit dem Pariser Terroranschlag auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo sei ein Kulturkonflikt unübersehbar geworden, was meinen Sie dazu?

Bochinger: Der Begriff Kulturkonflikt erinnert an das Wort Kulturkampf. Dabei handelte es sich zu Bismarcks Zeit um die Auseinandersatzung Katholiken gegen Protestanten - beziehungsweise Katholiken versus Preußischer Staat. Das wäre im heutigen Zusammenhang eine falsche Metapher. Kulturkonflikt – welche Kulturen liegen denn da in Konflikt?  Es ist meines Erachtens ein falsches Bild, zu sagen, der Islam sei an sich eine gefährliche, nicht integrierbare Kultur. Dazu kommt die Frage, ob es zum Konflikt mit den Christen, mit der säkularen Gesellschaft, kommen könnte. Ich halte die ganze Art von Begrifflichkeit, von Metaphorik, für ungeeignet.

Worum geht es?

Bochinger: Es geht darum, dass Leute abscheuliche Terrorakte verübt haben. Keine Religion ist davor gefeit, dass man in ihrem Namen Terror ausübt. Schaut man genauer hin, so sieht man, dass es große soziale Probleme gibt in Frankreich. Damit will ich nicht sagen, dass die Täter nicht schuld sind, natürlich sind die schuld, und es gibt auch geistige Brandstifter hinter ihnen, die mitschuldig sind.  Aber es wäre verfehlt, zu sagen, das ist ein typischer Ausdruck des Islam.  Deswegen sehe ich mit großen Bedenken, wenn Pegida sagt: Wir haben es ja kommen sehen – und von Islamisierung des Abendlandes spricht. Es gibt leider den Islamischen Staat, es gibt Al-Qaida. Aber es gibt auch in anderen Religionen hochproblematische Entwicklungen, wenn man etwa an die Ermordung von Ministerpräsident Rabin durch ultraorthodoxe Juden denkt oder den Beitrag der radikalen Evangelikalen in der US-Politik, besonders in der Bush-Ära. Da ist auch viel Blut geflossen, wenn auch nicht so direkt. Jetzt von einem Kulturkonflikt zu reden, das wertet diese Terroristen noch auf. Es sind Verbrecher - ganz einfach. Man sollte bei  einem Verbrecher nicht von Kulturkonflikt sprechen.

In unserer Gesellschaft wächst der Anteil der Menschen, denen Religion nichts mehr bedeutet,  auf der anderen Seite kommen viele zu uns, denen Religion sehr viel bedeutet. Sehen Sie da eine immer größere Kluft – und wie kann die Verständnislosigkeit auf beiden Seiten überwunden werden? 

Bochinger: In diesem Zusammenhang könnte ich das Wort Kulturkonflikt am ehesten verstehen. Wobei wir das auf beiden Seiten präzisieren müssen. Es ist so, dass auch unter den Migranten viele sehr distanziert zu ihrer Religion stehen. Zum Beispiel kamen viele schiitische Muslime nach Deutschland, weil sie im Khomenei-Staat verfolgt wurden. Viele von ihnen sind kritisch gegenüber dem Islam. Es ist also keineswegs so, dass alle Zugewanderten, die aus islamischen Ländern kommen, sich hochgradig mit der Religion identifizieren. Aber im Schnitt ist das Bekenntnis zur Religion bei ihnen in der Tat höher als in der Durchschnittsgesellschaft in Deutschland. Das besagen zahlreiche Studien.

Die Zugewanderten passen sich an?

Bochinger: Allerdings: Mit der Zeit wird’s auch immer weniger. Das heißt: Die Zugewanderten gleichen sich an die deutsche Mehrheitsgesellschaft an. In der Tat gibt es aber ein Kommunikationsproblem zwischen der wenig religiösen Bevölkerungsmehrheit und den dezidiert religiösen Gruppen im Land. Auch überzeugte Christen kennen dieses Problem, dass sie sich anderen nur schwer verständlich machen können und sich manchmal wie Exoten im eigenen Land vorkommen. Gerade in Ostdeutschland. Gegenseitiges Verständnis verlangt, dass man geduldig miteinander ist und aufeinander hört – und den anderen nicht für verrückt erklärt, nur weil er ein Tischgebet spricht, eine Kippa trägt oder kein Schweinefleisch isst. Aber umgekehrt müssen auch die Religionsdistanzierten und Religionslosen akzeptiert werden. Auch Menschen ohne Religion sind Menschen. Vielleicht steckt das hinter den Protesten von Pegida.

Pegida sieht das Abendland in Gefahr.

Bochinger: Wenn Pegida die Probleme in Deutschland mit dem Islam identifziert und das christliche Abendland in Gefahr sieht, ist das meines Erachtens ganz einfach falsch und haltlos. Das Problem dabei ist, dass die meisten Menschen, die da auf die Straße gehen, gar nicht wissen, was Christentum ist. In Dresden zum Beispiel sind derzeit etwa 20 Prozent der Stadtbevölkerung Mitglied einer christlichen Kirche. Seit einigen Jahren gibt es aber eine generelle Tendenz in europäischen Ländern, dass Menschen sich plötzlich als „Christen“ identifizieren, wenn es gegen den Islam geht. Ich habe in der Schweiz ein Projekt geleitet, da haben Ethnologen auf Schulhöfen beobachtet, wie Kinder sagen: Ihr seid Muslime, bei euch werden die Frauen unterdrückt, wir sind die Christen, und bei uns herrscht Gleichberechtigung. Das halte ich für ziemlich gefährlich, weil es mit dem Christentum gar nichts zu tun hat und die muslimischen Mitschüler in eine Ecke treibt, aus der sie schlecht wieder herauskommen.

Viele wissen nicht, wovon sie reden?

Bochinger: Würde man die Leute fragen: Was verstehst du unter Christentum? – die könnten gar keine Antwort darauf geben. Sie wissen wenig über das Christentum, identifizieren sich aber damit. Über diese Entwicklung müssen sich auch die Kirchen Sorgen machen. Ich denke, es ist nicht in deren Sinne, wenn das so läuft. Mein Mitarbeiter Christian Uhrig hat in seiner Master-Arbeit den Umgang der rechtsintellektuellen Zeitschrift „Junge Freiheit“ mit dem Thema „Religion“, „Christentum“ und „Islam“ untersucht. Auch er beobachtete diese Tendenz. Da wird Kanzlerin Merkel vorgeworfen, das „C“ für christlich im Parteinamen der CDU zu verraten, weil sie nicht konsequent anti-islamisch aufträte.

Wird Verwirrung gestiftet?

Bochinger: Bei Pegida ist auch sonst vieles nicht klar. Sie sagen nicht, sie sind für das christliche Abendland, sondern sie reden nur vom Abendland. Aber dann singen sie christliche Weihnachtslieder. Das ist ein Konflikt, der schlecht zu lösen ist. Auf beiden Seiten wird ein Stellvertreterkrieg ausgefochten, in der Internet-Welt würde man von Avatars reden: Man weiß nicht, wer eigentlich dahinter steckt und worum es eigentlich geht. Ich glaube in Wirklichkeit geht es um Arbeitsplätze, ökonomische Unsicherheiten oder Probleme jetzt mit dieser Flüchtlingswelle. Es geht eigentlich gar nicht um das, was auf den Plakaten steht.

Welche Gefahr sehen Sie?

Bochinger: Pegida sieht das Abendland in Gefahr. Ich sehe dagegen die deutsche Gesellschaft in Gefahr, wenn durch Pegida Nazi-Begriffe wie „Lügenpresse“, „Volksverräter“ und ähnliches wieder salonfähig gemacht werden. IS und Al-Qaida sind furchtbare Auswüchse, aber der Nationalsozialismus war keinesfalls harmloser. Wer hier nicht klar Stellung bezieht und zum Beispiel  Begriffe von Goebbels verwendet, ist meines Erachtens wirklich ein geistiger Brandstifter.

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