Premierenkritik zu „Siegfried“ bei den Bayreuther Festspielen Festspiele-Kritik: "Siegfried"

Von Florian Zinnecker
Zum letzten Mal das Krokodil: "Siegfried" aus dem Ring bei den Festspielen 2015. Foto: Bayreuther Festspiele Foto: red

Bei „Siegfried“ zeigt Frank Castorf sein wahres Gesicht. Er nervt - vor allem, weil er mit seinen tollen Sängern so wenig anfangen kann. Und weil er die Zuschauer in eine unbequeme Rolle zwingt.

 
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Es sind jetzt vier Krokodile, die unter der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz herumkriechen. Im ersten Jahr waren es zwei, übers Jahr brüteten sie ein drittes aus, und hier ist nun Nummer vier. Mit seinen Krokodilen hat sich Castorf nicht nur unauslöschlich ins Bayreuther Volksfestspielgedächtnis eingeschrieben; sein „Siegfried“ und eines Tages vielleicht der ganze „Ring“ wird für immer der „mit den Krokodilen“ sein.

Aber Castorf hat sich mit den Krokodilen auch ein wunderbares Selbstporträt geschaffen: sperrig und unbeweglich im Bühnenraum herumliegend, unünersehbar und auch ein bisschen lustig, und mit großen Mäulern wahllos nach allem schnappend, was sich rührt. Kein Zweifel, er hat es sich bequem gemacht in seinem Bayreuther „Siegfried“. Er hat eine Position gefunden hat, in der er nur noch gewinnen kann; er muss nicht einmal mehr anheben zum Gegenargument, wenn ihm jemand vorwirft, dieser „Siegfried“ sei aber nun wirklich nicht das, was man auf dem Grünen Hügel erwarte.

Weil Theater ja nun wirklich nicht das Erwartbare zu liefern hat. Und weil ein ungebrochener, sonnigerer Siegfried mit einem hübschen Wald und einer Schmiede und einem dollen Drachen und im dritten Aufzug seliger Öde auf wonniger Höh, so, als ob nichts wäre, ja bitteschön auch nicht das Wahre sein kann, nicht mehr jedenfalls. Und also zeichnet Castorf auf dem Grünen Hügel, der einmal wegweisend in der Opernästhetik sein wollte, Mime als Intellektuellen, der im Schatten seiner übermenschlich groß in Stein gehauenen kommunistischen Helden haust und sich an ihnen abarbeitet (der Bühnenaufbau lässt ja schön schlau im Unklaren, ob die Köpfe gerade im Entstehen oder im Abriss begriffen sind, und dass man Lenin, Stalin und Mao über die Köpfe gelangt, während man sich dem reinen Lehrer Karl Marx nur demütig von unten nähern kann, ist eine weitere feine Fußnote).

Siegfried ist der hässliche, chancenlose Jungspund, dessen körperliche Kraft in ungutem Verhältnis zur geistigen steht. Erda die Edelhure, die sich eine gewisse Abgeklärtheit erarbeitet hat. Brünnhilde erwacht elendsvoll aus grünen Plastikplanen und widersetzt sich natürlich - wie alle anderen - der allzu wörtlichen Übersetzung, denn hey, das hier ist The-a-ter, glaubt doch nicht alles, was man euch vorsetzt.  Das schreit Castorf, das alte Theaterkrokodil, mit jedem einzelnen Bild. Fafner, der schlaue Kapitalist, wird niedergemäht.

Und welcher Art die Verheißung ist, die der Waldvogel verkörpert, ist dann natürlich auch klar. Das alles ist drapiert auf einer Platte, die zur Hälfte aus den versteinerten Ideen und zur anderen Hälfte aus der betonierten Wirklichkeit des real existierenden Frank-Castorf-Gedankenkosmos besteht, die sich unablässig hin und her dreht. Ja, das ist die Theorie dieser Inszenierung, und die Theorie riecht schon ein wenig abgestanden, aber sie ist schlüssig und gut, aber, und da geht es Castorf nicht anders als seinem Lebensthema, in der Praxis funktioniert sie nur bedingt, weil Menschen stundenlang sinnlos im monumentalen und wirklich genialen  Bühnenbild von Aleksandar Denic herumlaufen und mit Müll und Möbeln werfen.

Castorf schafft witzige Momente, aber die Jungs mit dem Maschinengewehr, die fatalen Verheißungen und die Bruchstelle zwischen Idyll und Realität sind heute eben andere, die Welt hat sich weiter gedreht als die Drehscheibe auf der Bühne. Es ist halt unpraktisch, wenn man eine Mauer im Kopf hat und diese Mauer nicht wegkriegt. Aber es sind vier Krokodile inzwischen, man kann also nicht sagen, Frank Castorf habe sich nicht gesteigert. Die Solisten lassen sich davon immerhin nicht stören. Stefan Vinke beerbt Lance Ryan in der Titelpartie, ein stimmlich breitschultriger Siegfried, der sich in den ersten beiden Akten kaum merklich bremst und dann im dritten tatsächlich aufblüht, solche Siegfriedtöne haben dieser Produktion bisher tatsächlich gefehlt.

Andreas Conrad ist fabelhaft als Mime, Wolfgang Koch und Albert Dohmen sind als Wanderer und Alberich in Bestform, das gilt auch für Andreas Hörl als Fafner - bei einer intellektuell so verstiegenen Inszenierung wäre es schwierig, wenn man den Text nicht verstünde; zum Glück versteht man jedes Wort. Auch bei Catherine Foster, die als Brünnhilde brilliert und der Kirill Petrenko ein paar Piano-Stellen gönnt; auch bei Nadine Weissmann als exzellente Erda, die stimmlich ein bisschen schroffer geworden ist, was aber - nicht nur im Castorf-Anstrich der Rolle - nur noch interessanter klingt.

Und Petrenko? Der gewinnt den Zweikampf mit der Regie, der dieser Abend leider ist, und erweckt den Anschein, als sei das spielend leicht. Mit einem dunkel funkelnden Vorspiel, haargenau herausgeschälten Fagott- und Klarinetten-Tönen, einer ganzen Palette an Streicherfarben und einem kompromisslos sängerfreundlichen Ansatz. Wie schlagartig Petrenko das Orchester herunterdimmt, und wie voluminös der Apparat dann immer noch klingt, nur eben leise: Das gibt es so nur hier und auch nur mit diesem Dirigenten. Vielleicht ringen sich die Festspiele ja doch noch durch, eine Gesamtaufnahme des Petrenko-„Rings“ herauszugeben. Es wäre ein Fehler, das nicht zu tun.

Eine DVD muss wirklich nicht sein. ​

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