Neue Willkommensgruppe besucht Flüchtlingsunterkunft an Bernecker Straße Flüchtlinge: Helfen muss man lernen

Von Frank Schmälzle
Zum ersten Mal in der Flüchtlingsunterkunft an der Bernecker Straße: Die Helfer der Willkommensgruppe der Gemeinde St. Georgen werden wiederkommen und sich um die Asylbewerber kümmern.⋌Foto: Ronald Wittek Foto: red

Nein,frustriert ist Martin Bachmann nicht. „Aber manchmal ist es schwierig, Hilfsbereitschaft konkret umzusetzen“, sagt der Pfarrer von St. Georgen. Seine Kirchengemeinde hat eine Willkommensgruppe für Flüchtlinge gegründet. Rund 40 ehrenamtliche Helfer wollen mitmachen. Weil vor ihrer Haustür Menschen Hilfe gut gebrauchen können. In der provisorischen Erstaufnahmeeinrichtung an der Bernecker Straße leben 160 Flüchtlinge. Gestern waren die Helfer zum ersten Mal in der Unterkunft. Jetzt wissen sie, wie Hilfe funktionieren kann.

 
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Spielsachen und Kleidung, Süßigkeiten und Obst, Hygieneartikel oder vielleicht mal ein Fahrrad. Vielleicht freuen sich die Flüchtlinge über solche Geschenke, dachten die Helfer der neuen Willkommensgruppe. Rainer Christ führt sie durch die Halle an der Bernecker Straße und atmet tief durch. Er weiß, wie gut das gemeint ist. „Lieber nicht“, sagt der Hausverwalter der Flüchtlingsunterkunft. „Das gibt nur Ärger.“ Erst streiten die Kinder ums Spielzeug, dann mischen sich die Erwachsenen ein. „Lieber nicht.“ Kleidung bekommen die Flüchtlinge aus der Kleiderkammer an der Wilhelm-Busch-Straße, zweimal in der Woche fährt ein Bus dorthin.Das Essen kommt vom Roten Kreuz. Hygieneartikel gibt es vor Ort.

Wohnen nach Nationen

Aus dem ehemaligen Laden ist eine Flüchtlingsunterkunft geworden. Mit Bauzäunen und Planen sind die Nationen in den großen Räumen voneinander getrennt. Ein Abteil für Albaner, jeweils ein weiteres für Afrikaner, Syrer, Afghanen, Irakis. Das, sagen Flüchtlinge, war notwendig, weil das hautnahe Zusammenleben nicht geklappt hat. Immer wieder seien Handys weggekommen. Das Wertvollste, was Flüchtlinge haben. Ihre einzige Verbindung in die Heimat. Drinnen in den Abteils sind Stockbetten zu Vierer-Blöcken zusammengerückt. Ein Block für eine Familie. Verhüllt mit Decken aus grobem grauen Stoff. Dorthin ziehen sie sich zurück. Ruhe finden sie oft nicht.

Nico erzählt seine Geschichte

Nico ist mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn aus Albanien gekommen. Er sagt: „Hier gibt es eine Menge Probleme.“ Zum Beispiel, dass man nicht schlafen kann. Weil es zu laut ist. Zum Beispiel, dass die Waschräume schmutzig sind. Nico weiß noch vieles anderes, was er nicht gut findet. Er will raus hier, sagt er. Raus aus dem Dauerstress einer Unterkunft mit 160 anderen Menschen. Eine Arbeit finden, dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Wann das sein wird, ob das je so sein wird? Der 35-Jährige zuckt mit den Schultern. Er weiß nur: Wenn er noch lange hier bleiben muss, wird er freiwillig zurück nach Albanien gehen. Des Babys wegen, er können das nicht verantworten. Vielleicht noch ein Monat. Mehr Zeit gibt er sich nicht mehr. Auch wenn er in Albanien vor dem Nichts stehe. Nico und seine Familie sind seit dem 7. Juli in Bayreuth.

Die vielen Kleinigkeiten schrecken die Helfer nicht

Rainer Christ sagt, das wird anders. In Zukunft werden die Flüchtlinge nur noch ein paar Tage hier in der Erstaufnahmeeinrichtung an der Bernecker Straße untergebracht sein. Bis sie irgendwo anders in Oberfranken, Bayern oder Deutschland eine Heimat auf Zeit finden. Bis sie „dezentral untergebracht“ sind, so heißt das im Fachjargon. Bis über ihren Asylantrag entschieden ist. Daran werden sich die Helfer der neuen Willkommensgruppe orientieren. Von den vielen Kleinigkeiten, die gegen ihre Hilfe sprechen könnten, wollen sie sich nicht abhalten lassen. Malen und Spielen mit den Kindern in der Erstaufnahmeeinrichtung: Und wer macht danach sauber? Flüchtlinge zum Arzt oder zu Behörden fahren: Und wer klärt die Versicherungsfragen? Pfarrer Bachmann sagt: Das wird sich lösen lassen. Anfangen werden die Helfer jetzt damit, dass sie Flüchtlinge in ihre Gemeinde einladen. Alle 14 Tage zum Tee oder Kaffee ins Gemeindehaus. „Wir brauchen gar nicht so viele unterschiedliche Angebote, wenn die Flüchtlinge nur ein paar Tage bleiben“, sagt die Flüchtlingsbeauftragte der Gemeinde, Regine Frunzke.

Hilfe - ganz grundsätzlich

Dass die Willkommensgruppe aber einen langen Atem brauchen wird, das steht für Regine Frunzke allerdings fest. „Diese Unterkunft wird so schnell nicht mehr verschwinden.“ Und weil das so ist, wollen die Helfer grundsätzlich werden. Wollen, dass die Kinder nicht mehr direkt an der Bernecker Straße spielen müssen. Wollen auf dem Bolzplatz gegenüber einen kleinen Spielplatz. Und werden den Behörden auf die Finger schauen. Sie haben gehört, dass auch Minderjährige ohne Eltern in Erstaufnahmeeinrichtungen landen. Weil das billiger ist.

Zoff am späten Samstagabend

Die Helfer wollen da sein, regelmäßig und verlässlich. Dann werden sie auch spüren, was beim ersten Besuch in der Erstaufnahmeeinrichtung nicht sofort klar wurde. Wovon Flüchtlinge allerdings erzählen: Fast jeden Tag gibt es Streit. Samstagnacht eskalierte die Situation in der Asylbewerberunterkunft. Gegen 23.20 Uhr geht bei der Polizei die Mitteilung ein. Streit unter Asylbewerbern. Sie schlagen mit Händen, Fäusten und einem Stuhl aufeinander ein. Der Sicherheitsdienst schreitet ein. Vier Männer werden leicht verletzt. Gegen sie wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Die Ermittlungen sollen auch zeigen, was der Grund für den Streit war. Ein Polizeisprecher sagt, es nicht auszuschließen, dass die Enge der Unterkunft und das zwangsweise Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen dazu beigetragen hat. Hausverwalter Christ sagt: „Das wird sich wohl nie ganz vermeiden lassen, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Das würde auch kein Deutscher auf die Dauer aushalten.“

Rückzugsorte gibt es nicht

In Massenunterkünften leben zu müssen, belastet Menschen schwer, sagt Lisa Linhardt vom Sozialdienst des Bezirkskrankenhauses. „Da herrscht ein Kommen und Gehen“, sagt Linhardt. „Eigentlich wäre es für Flüchtlinge mit postraumatischen Belastungsstörungen wichtig, Stress zu vermeiden und einen Rückzugsort zu haben.“ Das geht in Massenunterkünften nicht.

Die, die es nicht mehr aushalten, werden im Bezirkskrankenhaus behandelt. Es werden immer mehr. „Manchmal geht es um Leben und Tod“, sagt Linhardt. Flüchtlinge wollen ihrem Leben ein Ende machen. Das Wichtigste, was ihnen das Krankenhaus bieten kann, ist Sicherheit. Sie bekommen Medikamente und soweit es die Sprachbarrieren zulassen helfen ihnen Ärzte und Psychologen in Gesprächen. Einige, sagt Linhardt, stehen einfach vor der Klinik-Tür. „Weil es nicht mehr geht.“ Andere werden von niedergelassenen Ärzten eingewiesen. Oder kommen auf Vermittlung der Sozialberatung der Caritas. In Fichtelberg hatte sich in der vergangenen Woche eine junge Asylbewerberin das Leben nehmen wollen. Vor zwei Jahren stieg ein Asylbewerber in Kulmbach auf einen Industrieschornstein. Beide wurden in letzter Minute gerettet.

Flüchtlinge brauchen Menschen, die ihnen Hoffnung geben. „Das“, sagt Regine Frunzke, „ist unsere größte Aufgabe.“

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