Ärztin Susanne Dietze leitet das mobile Palliativteam für den Raum Bayreuth und Kulmbach Die letzten Stunden daheim

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Seit Januar ist ein mobiles Palliativteam in den Landkreisen Bayreuth und Kulmbach unterwegs. „Wir wollen Schwerstkranke erreichen, die eine absehbare Lebensspanne haben und an einer nicht heilbaren Krankheit leiden“, sagt Palliativmedizinerin Susanne Dietze. Die Oberärztin wird unterstützt von drei weiteren Ärzten, sieben Pflegekräften und einer Bürokraft. Sie haben bereits nach vier Wochen mehr Patienten in ihrer Kartei als gedacht.

 
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Vögel hat der 56-Jährige Mann, der in einem mit einer Fernbedienung zu steuernden Sessel liegt, schon immer gemocht. Er war erfolgreicher Kleintierzüchter, die Pokale funkeln in der gegenüberstehenden Vitrine. In ihrer Nähe fühlt sich der tierliebe Mann wohl. Wie viel Zeit ihm mit seinen Tieren noch bleibt, weiß er nicht. Einen Wunsch hätte der Kranke noch: im Frühjahr noch einmal angeln gehen.

Im vergangenen Jahr wurde bei ihm Krebs festgestellt. Erst nistete er sich in einem Organ ein, dann im ganzen Körper. Der dünne Mann mit der blassen Haut ist austherapiert: Ärztin Susanne Dietze und Pflegerin Jutta Holighaus betreuen ihn daheim in seiner Wohnung. Hinter ihm im Vogelkäfig zwitschern das rotschnabelige Vögelchen und tänzelt auf der Stange hin und her. Sie teilt sich den mannshohen Käfig mit weiteren Artgenossen. Nur der Papagei Rocco ist ausgezogen.

Hilfe für Schwerstkranke

Um neun Uhr morgens ist die erste Besprechung im Büro des Palliativteams im Bayreuther Klinikum: Wie war die Nacht? Wer hat angerufen? Gibt es Neuzugänge oder Entlassungen? Susanne Dietze koordiniert die Abläufe. Sie sammelte bereits im Nürnberger Land Erfahrungen in der ambulanten Palliativhilfe. Vor einem Jahr schrieb sie das Konzept für das mobile Hilfsangebot, hielt Vorträge beim Hausärzteverein und der Kassenärztlichen Vereinigung. Kulmbach sollte zuerst von Bamberg aus betreut werden, doch dann erhielt Bayreuth den Zuschlag, schildert sie. „Wir sind hier in einem Flächengebiet und da ist so ein Angebot dringend erforderlich.“

1500 Kilometer über Land

Seit Jahresanfang ist sie bereits 1500 Kilometer gefahren. Sie deckt ein Gebiet ab, das im Süden bis nach Plech und im Norden bis nach Presseck reicht und sich von Aufseß im Westen bis Fichtelberg im Osten erstreckt. Für 250 000 Einwohner ist das mobile Palliativteam zuständig. Bereits nach knapp einem Monat betreut es bereits 18 Menschen: zum Beispiel in Pottenstein, Kulmbach, Himmelkron, Pegnitz, Waldau und Weidenberg.

Dabei war Dietze von einem jährlichen Patientenaufkommen von 120 Personen ausgegangen. „Die Angehörigen draußen sind so dankbar, dass jemand da ist“, sagt die Ärztin mit dem freundlichen Lachen. Die Schwerkranken leiden oft unter Schmerzen, Atemnot und Übelkeit. Da könnten Krisensituationen entstehen, die zu eskalieren drohen. „Wir sind dann da zu ihrer Entlastung, als medizinische Ratgeber und als Zuhörer“, sagt Dietze über ihre Aufgabe, die sie als fordernd, aber auch sehr erfüllend empfindet.

Ob jemand in der „Palli“ bleibt oder wieder heim kommt, sei eine individuelle Entscheidung. Die Ärzte müssen es befürworten - und die Angehörigen müssen es wollen. „Manche haben Angst davor, zu versagen und zuzugeben, dass sie es nicht schaffen“, weiß die Ärztin. „Aber wenn sie es schaffen, dann kommen wir gerne und unterstützen sie.“

Tun, was möglich ist

Der 56-Jährige krebskranke Mann aus dem Landkreis wird von seiner Frau gepflegt. „Eine ganz Starke“, sagt Dietze über sie. Denn sie leidet selbst an einer Krebserkrankung, die überstanden schien und nun wiederkehrte. Dietze trägt ihren schwarzen Arztkoffer in die Wohnung. Sie tätschelt dem Patienten die Hand, erkundigt sich, ob er Schmerzen hat und genug Tabletten vorrätig sind. „Die Medikamente kann er kaum schlucken“, erzählt die Ehefrau, und auch sonst behalte ihr Mann wenig im Magen. Dietze schlägt vor, ihm eine Infusion zu legen, wofür sie aber wiederkomme müsse. Für die wunden Füße, eingepackt und in Schuhe mit Klettverschluss, verschreibt sie eine Salbe. Für den Rücken und den Steiß ein Anti-Dekubitus-Kissen. Der Mann lächelt und sagt mit leiser Stimme: „Sie sind so unheimlich hilfsbereit, alles was ich anspreche, versuchen Sie für mich zu erledigen. Was möglich ist, dass machen Sie möglich.“

In einer Mappe, die beim Patienten liegt, wird alles dokumentiert, was gemacht wurde. Die Helfer des mobilen Einsatzteams sind rund um die Uhr da für die Familien. "Uns geht es darum, dass die Leute gut versorgt sind", sagt Jutta Holighaus, die den Hausbesuch begleitet, "und dass wir adäquat auf ihre Bedürfnisse reagieren." Sie und die Ärztin schätzen es, sich zu viel Zeit nehmen zu können, wie nötig. Obwohl es viel zu organisieren gibt und es belastend sein kann, wenn einer der Patienten stirbt, schätzen sie ihre Tätigkeit. "Es braucht Einfühlungsvermögen und niemand kann mit jedem, aber trotzdem ist eine sehr befriedigende Arbeit", sagt Dietze und gibt zu: "Wir sind auch Idealisten und gehen an unsere Grenzen."

Sie kniet sich hin, sagt dem krebskranken Mann, welche Rezepte sie ihm ausgestellt hat. Dann legt sie ihm den Ausdruck eines Smartphonefotos auf die Knie. "Schauen Sie mal, mein Sohn, der ist ganz verrückt nach Rocco." Die Blausternamazone sitzt auf der Schulter des Jungen. Die Ärztin hat den Vogel, den die Kinder des Patienten nicht wollten, vor zwei Tagen adoptiert.

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